Kultische Reinheit verstehen: Wie Wasser den Kontakt zur göttlichen Sphäre herstellt

Stuttgart 13.11.2023 Schon in der Zeit des antiken Israel und Juda vollzieht man religiöse Rituale mit Wasser. Diese Rituale versetzen Menschen, Gegenstände, Pflanzen oder Tiere in den Zustand der kultischen Reinheit. Nun erst konnte man überhaupt in Kontakt mit dem Heiligen treten. Damit ist Wasser nicht einfach eine Flüssigkeit zum Waschen: Es bringt Menschen mit Göttlichem in Berührung.

Die biblischen Bücher Exodus und Levitikus erzählen, wie ein solches Reinigungsritual für den Kult im Alten Israel aussah: Als Aaron und seine Söhne in das Priesteramt eingesetzt werden, sollen sie sich zuvor vor dem Zeltheiligtum mit Wasser waschen. Dazu wird ein Becken aufgestellt, in dem die zukünftigen Priester ihre Hände und Füße reinigen. Dieses und andere Beispiele sind erst verständlich, wenn man das Konzept kultischer Reinheit im alten Israel, Ägypten und Mesopotamien kennt, wie der Alttestamentler Matthias Winkler in der neuen Ausgabe des Magazins Welt und Umwelt der Bibel (4/2023, „Göttliches Symbol. Wasser in Bibel und Kult“) erklärt.

Den Hintergrund dieses Symbolsystems bildet die Vorstellung von zwei Bereichen: das Heilige und das Nicht-Heilige. Einfach so können sich beide nicht begegnen. Das Profane muss, um mit dem Heiligen in Kontakt zu kommen, in einem bestimmten Zustand sein, nämlich in dem der Reinheit. Die Tora gibt dazu Wasserrituale vor. „Ohne die Waschung mit Wasser ist und bleibt ein Kontakt mit dem Heiligen für den Unreinen unmöglich. Er bleibt vom Heiligen abgeschnitten. Es ist sogar dramatischer, denn in Ex 30,17-21 droht den Priestern der Tod, sollten sie ungewaschen in das Zeltheiligtum ein- oder an den Altar herantreten“, so Winkler.

Wasser aus Quellen und Flüssen, also bewegtes, sprudelndes, lebendiges Wasser wurde dabei bevorzugt. In der Mischna, einer Sammlung jüdischer Religionsbestimmungen um 200 n. Chr., ist festgehalten, dass stehendes Wasser aus Zisternen oder Sammelbecken viel weniger gegen Unreinheit wirkt als Quellwasser oder Regenwasser – Wasser, das Gott ohne Zutun oder Herbeitragen eines Menschen geschenkt hat.

So wie sich also im Altertum Menschen untertauchten unter oder mit Wasser besprengten, ehe sie zum Heiligtum gingen, so spielt Wasser bis heute in Religionen eine wichtige Rolle an der Schnittstelle zur göttlichen Sphäre: Tauf- oder Weihwasser auf christlicher Seite, das jüdische Tauchbad in der Mikwe oder auch Brunnen in Moscheen für die Waschung vor dem Gebet. Die neue Ausgabe von Welt und Umwelt der Bibel sensibilisiert für die tiefen Wurzeln heutiger religiöser Praktiken – und für den komplexen Wert von Wasser.

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Mehr erfahren: Inhalt der Ausgabe „Göttliches Element: Wasser in Bibel und Kult“

Maria Häusl
“In der Wüste sind Wasser hervorgebrochen und Flüsse in der Steppe”
Wasser im Heiligen Land und in den Schriften der Bibel - eine Einführung

Anna Lauer
“Wohin der Fluss fließt, dort wird alles leben können”
Ezechiels Vision von der Jerusalemer Tempelquelle

Göttliches Geschenk
Mesopotamische Gottheiten und das Wasser

Mathias Winkler
Wasser ist zum Waschen da
Wasser und kultische Reinheit in den Toratexten

Georg Röwekamp
Heilig und heilend
Die Teiche Schiloach und Betesda in Jerusalem

Marie-Armelle Beaulieu
Der Teich von Schiloach lässt Archäologen abblitzen
Die aktuellen Ausgrabungen

Jalina Tschernig
Gabe der Götter - Gabe für die Götter
Wasser an ägyptischen Tempeln

Andreas Müller
Priester, Pilger, Götter, Opfertiere - alle brauchen Wasser
Die Verwendung von Wasser in antiken Heiligtümern

Melanie Carafa
“Möge Osiris dir kühles Wasser geben”
Wasserrituale in der Isis-Verehrung

Georg Röwekamp
“Tauft in lebendigem Wasser”
Die Entstehung der Taufe im frühen Christentum

Andreas Müller
Segen für Flüsse und Meere
Orthodoxe Wasserweihe

Raid Al-Daghistani
Element der inneren Läuterung
Die religiös-spirituelle Bedeutung des Wassers im Islam

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Welt und Umwelt der Bibel – Archäologie, Kunst, Geschichte erscheint seit über 25 Jahren im Katholischen Bibelwerk e.V., in Kooperation mit dem französischen Magazin ◊Le Monde de la Bible“ (Bayard Presse). Forschende aus den Feldern Theologie, Archäologie, Kunst, Judaistik, Islamwissenschaft, Ägyptologie und Orientalistik berichten über Kultur, Religion und Geschichte der biblischen Länder. Damit ist das Magazin international, ökumenisch und interdisziplinär aufgestellt. Jede Ausgabe umfasst aktuelle archäologische Meldungen und Forschungen, Ausstellungs- und Veranstaltungstermine sowie Literaturtipps. 
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• Weitere Informationen:
Göttliches Element. Wasser in Bibel und Kult“
Welt und Umwelt der Bibel 4/23 (Nr. 110) , 80 S., € 12,80
ISBN 978-3-948219-57-4
www.weltundumweltderbibel.de


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